"Widerspruchslösung kann nur Ultima Ratio sein"
Heute stimmt der Deutsche Bundestag über das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegte Organspendegesetz ab. Die von Spahn bevorzugte Widerspruchslösung würde jede Bürgerin und jeden Bürger automatisch zum Organspender machen, die oder der sich nicht offen dagegen äußert. Der Chemnitzer Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt und Vorsitzende der FDP-Sachsen, erläutert, warum er am Donnerstag gegen den Spahn-Plan und für die so genannte Zustimmungslösung stimmen wird. Der Ausgang der Abstimmung ist allerdings offen, da es in allen Fraktionen kein einheitlich Meinungsbild gibt:
„Die Abgeordneten werden eine wichtige Entscheidung zu einem sehr sensiblen Thema treffen, denn letztlich geht es um den Körper jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers. Dementsprechend ist die Debatte über eine Änderung des Organspendegesetzes in den vergangenen Monaten äußerst emotional geführt worden. Das konnte ich persönlich auch in Gesprächen und durch zahlreiche Zuschriften von Bürgern erfahren. Morgen stimmen die Abgeordneten des Deutschen Bundestags über den von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegten Plan der sogenannten „Doppelten Widerspruchslösung“ ab. Zur Wahl steht allerdings auch ein Gegenentwurf, die „Zustimmungslösung“. In einer Abstimmung, die ohne den so genannten „Fraktionszwang“ stattfindet, soll die Zukunft der Organspende beschlossen werden. Es gehe um eine „Gewissensentscheidung“ ist immer wieder zu hören. Das Thema betrifft nicht nur Selbstbestimmung, sondern auch das Recht auf körperliche Integrität potenzieller Spender und vor allem Gesundheit und Überlebenschance des möglichen Empfängers. Gerade weil es auch um Menschenleben geht, ist das Thema wichtig und drängend, sollte aber auch wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, deutlich und behutsam abgewogen werden.“
Frank Müller-Rosentritt denkt, dass eine Widerspruchslösung nur eine Ultima Ratio sein darf: „Natürlich ist in einer Situation, in der das Menschenleben eines anderen unmittelbar betroffen ist, ein ausdrückliches „Nein“ nicht zu viel verlangt“, betont Müller-Rosentritt und fügt an: „Wenn es aber andere Möglichkeiten gibt, die gleich oder mehr erfolgversprechend sind, dann entspricht der Vorschlag des Gesundheitsministers nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.“ Der Chemnitzer Abgeordnete, der seit 2017 für den Freistaat Sachsen im Bundestag sitzt, denkt, dass vor einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht eine saubere Abwägung stattfinden muss. So seien 84 % der Bundesbürgerinnen und -Bürger prinzipiell zu einer Spende bereit. Hier fehle es an zielgerichteten und effektiven Ansätzen des Gesundheitsministeriums, um ohne pauschalisierende Maßnahmen ein dokumentiertes Bekenntnis zu erhalten. Die doppelte Widerspruchslösung würde auch alle erfassen, die nicht spenden wollen. Bloßes Schweigen, aus welchem Grund auch immer, würde automatisch als Zustimmung gewertet werden dürfen. Dies ist auch juristisch höchst umstritten, weil es etwas konstruiert, das das deutsche Rechtssystem ansonsten nicht kennt. Viele Abgeordnete teilen die Kritik und sehen in dem Vorschlag zudem keinen Faktor zur Erhöhung des Spenderaufkommens.
Dementsprechend hat die FDP-Bundestagsfraktion bereits im vergangenen Jahr einen Antrag eingebracht, der Lebendspenden erleichtern soll und gleichzeitig den gesetzlichen Vorrang postmortaler Spenden auch im Falle einer verfügbaren Lebendspende abschaffen wollte. Aufgrund der strukturellen Schwächen des Entwurfs aus dem Gesundheitsministerium hat eine Gruppe von Abgeordneten einen eigenen Antrag verfasst. Die „Zustimmungslösung“ sieht vor, dass durch effektive Identifikation und Verbesserung der tatsächlichen Durchführung der Entnahme von Spenden die Spenderanzahl erhöht werden. Der Bundestag hat bereits ein Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende beschlossen. Die Befürworterinnen und Befürworter der „Zustimmungslösung“ denken, dass eine verpflichtende Abfrage bei der Beantragung des Personalausweises der richtige Weg ist. Dafür muss allerdings ein Problem angegangen werden, das in der Debatte bisher viel zu kurz kam: die Moralisierung der Spendebereitschaft. Menschen sollten sich nicht aus Angst vor moralischen Repressalien dazu gezwungen fühlen, ihr aktives „Nein“ zu verschweigen. Der aufgeklärte Mensch kann einer so schwierigen Entscheidung, so der Chemnitzer Abgeordnete, nur durch aktive persönliche Zustimmung gerecht werden. Für Müller-Rosentritt geht es eben auch um das Vertrauen, das hierbei auf dem Spiel steht: „Wenn sich jemand zu Lebzeiten nicht geäußert hat, wird er nach seinem Tod zum Objekt des Staates. Das kann ich nicht befürworten. Eine neue Regelung darf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Transplantationsmedizin nicht unterlaufen.“