»Mit Chuzpe für Israel«
Mit der Jüdischen Allgemeinen habe ich über meine Heimatstadt Chemnitz, Antisemitismus in Deutschland, die UN und Israel sowie die Initiativen der FDP-Bundestagsfraktion zu Israel gesprochen. Lesen Sie hier das komplette Interview.
„Mit Chuzpe für Israel“
Der FDP-Politiker über die UN, Deutschlands Rolle und seine Heimatstadt Chemnitz
Herr Müller‐Rosentritt, Sie bezeichnen sich auf Ihrer Facebook‐Seite als »stolzen Chemnitzer«. Worauf genau sind Sie stolz?
Ich bin stolz darauf, in der drittgrößten Stadt in Ostdeutschland nach Berlin zu leben – in einer der wirtschaftlich prosperierenden Städte in Deutschland, einer Stadt, die einen dramatischen Wandel durchgemacht hat und jetzt von einer unglaublichen Start‐up‐ und Gründerkultur geprägt ist.
Chemnitz hat im vergangenen Jahr mit rechtsextremen Demonstrationen äußerst negative Schlagzeilen produziert. Wie vermittelt man dennoch ein positives Bild?
Das wurde schon vor diesen Vorfällen versäumt, und deshalb gibt es bei dem einen oder anderen Bürger auch Frust über das Image der Stadt. Aber viel mehr Frust empfinde ich natürlich darüber, wie sich einzelne Bürger und Zugereiste im August 2018 verhalten haben. Denn das, was wir in den Medien gesehen haben, ist meiner Meinung nach nicht Chemnitz.
Am Abend der Demonstration am 27. August 2018 wurde auch ein Überfall auf das jüdische Restaurant »Schalom« verübt.
Dieser Angriff hat mich sehr erschreckt. Ich kenne den Besitzer gut, ich gehe dort mit meiner Familie regelmäßig essen, und ich war sehr aufgebracht über diese Tat. Der Rechtsstaat muss hier mit aller Härte durchgreifen.
Gibt es inzwischen Erkenntnisse zu den Tätern?
Es wird weiterhin nach ihnen gefahndet. Aber aus ermittlungstaktischen Gründen schweigt die Polizei.
Wie hat die jüdische Gemeinschaft die Vorfälle vom August 2018 verarbeitet?
Aktuell ist das kein Chemnitzer, sondern ein gesamtdeutsches Thema. Dieser Angriff auf das Restaurant kann als bildliche Umsetzung einer Stimmung gelten, die viele Juden wahrnehmen. Zuletzt zeigte sich das am Bericht der EU zu Antisemitismus im Dezember 2018. Wir erleben heute einen signifikanten Anstieg des Antisemitismus auch von arabischen Mitbürgern. Ich habe selbst eine jüdische Freundin, die jetzt von Berlin nach Zürich gezogen ist, weil sie nicht möchte, dass ihr Kind hier aufwächst – wegen der Zusammensetzung von Schulklassen.
Bis heute ist der Begriff »Hetzjagd« in Zusammenhang mit den Ausschreitungen umstritten. Was sagen Sie?
Ich verwende den Begriff nicht, weil ich beide Demonstrationen aus der Ferne beobachtet habe. Das, was auf dem bekannten Videoschnipsel ganz konkret zu sehen ist, habe ich nicht beobachten können. Ich bin extra hingefahren, weil mir von der Demonstration berichtet wurde. Und als ich mit dem Fahrrad hingefahren bin, habe ich laufende Menschen gesehen, aber nicht diese Szenen, die im Internet zu sehen waren. Was aber nicht heißt, dass sie nicht stattgefunden haben. Ob man es nun Hetzjagd nennt oder nicht – es richtete sich pauschal gegen Ausländer, und das geht gar nicht. Genauso geht aber auch nicht, dass jetzt wie zum Beispiel in Amberg in Bayern nachweislich Leute gehetzt und andere angegriffen und verletzt haben.
Sie meinen Asylbewerber.
Es ist mir völlig egal, wer das macht. Dass Menschen anderen Menschen hinterherrennen und sie bewusst verletzten, geht einfach nicht. Es ist mir egal, von wem das ausgeht. Denn in einer Demokratie kann man unterschiedliche Meinungen haben, aber Gewalt ist definitiv kein Mittel eines demokratischen Diskurses. Insbesondere natürlich nicht, wenn es gegen jüdische Einrichtungen geht.
Sie machen sich im Bundestag für Israel stark. Zuletzt im November 2018 bei ihrer Anfrage an die Bundesregierung zum deutschen Abstimmungsverhalten in der UN – konkret zur immer wiederkehrenden Verurteilung Israels. Woher kommt Ihre Affinität zum jüdischen Staat?
Ich habe viele Freunde in Tel Aviv, und wenn man das erste Mal dort ist, ist man sehr beeindruckt davon, wie die Menschen dort drauf sind und wie sie sich bewegen. Ich habe mir die unglaubliche Chuzpe der Israelis zu eigen gemacht und dieses Lebensgefühl mit nach Deutschland gebracht, was im Politikbetrieb nicht immer so einfach ist. Aber ich versuche trotzdem, es ein Stück weit zu leben – eine gewisse Frechheit, eine gewisse stetige Unterbrechung, um immer im Diskurs zu bleiben und Dinge nicht automatisch umzusetzen, nur weil jemand anderes sie gesagt hat.
Stetige Unterbrechung … Ist die Knesset Ihr Vorbild?
Das würde ich jetzt nicht so formulieren.
Hat Ihr Engagement auch einen privaten Hintergrund?
Ja, die Familie meiner Frau hat väterlicherseits eine starke jüdische Vergangenheit. Ich habe Interesse an der Religion und an dem Land. Und ich würde mir wünschen, dass das, was Tom Franz in Israel in der Küche gelungen ist, mir im deutschen Parlament gelingt.
Im Bundestag haben Sie innerhalb der FDP‐Fraktion eine Initiative zum deutsch‐israelischen Start‐up‐Austausch angestoßen. Wie kam es dazu?
Dieses ganze Start‐up‐Ökosystem in Israel ist unglaublich vorbildhaft. Es ist wie ein Magnet. Und man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden. Jeder, der einmal in Tel Aviv und in Jerusalem gewesen ist und sich diese unfassbaren Start‐ups anschaut und darin eintaucht, der weiß, dass man sich von diesem Ökosystem inspirieren lassen sollte. Und wir wollen deutsche Start‐ups mit israelischen Investoren zusammenbringen und umgekehrt – ganz bewusst in Berlin, Leipzig und Chemnitz. Denn wir wollen zeigen, dass gerade Sachsen eine coole, weltoffene Start‐up‐Szene hat.
Seit Anfang Januar ist Deutschland nichtständiges Mitglied im UN‐Sicherheitsrat. Wie sollte sich Deutschland jetzt gegenüber Israel positionieren?
2018 hat die UN‐Vollversammlung 21 Resolutionen gegen Israel verabschiedet, 21 von insgesamt 26, die sich überhaupt gegen Staaten richteten. Auf der Welt geschehen wahnsinnige Dinge, Staaten wie Iran, Syrien und Russland brechen das Völkerrecht, aber die Mehrheit der UN‐Resolutionen richtet sich gegen Israel! Und ich möchte nicht, dass Deutschland in diesem Sinn an der Seite von Bahrain, Jemen, Pakistan, Saudi‐Arabien und Iran agiert.
Was wollen Sie dagegen unternehmen?
Wir werden dazu parlamentarisch initiativ werden. Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Bijan Djir‐Sarai für die FDP‐Fraktion einen Antrag formuliert, das Abstimmungsverhalten Deutschlands in der EU gegenüber Israel zu hinterfragen und bestenfalls neu auszurichten. Denn es kann nicht sein, dass – wie letztes Jahr im November – Deutschland bei neun Resolutionen gegen Israel acht Mal völlig zugestimmt hat. Wenn dieser Antrag in der Fraktion eine Mehrheit bekommt, werden wir dafür sorgen, dass der Antrag relativ früh ins Plenum des Bundestags kommt.
Was kritisieren Sie an der Regierung?
Ich kritisiere an Außenminister Heiko Maas und dem Verhalten der Bundesregierung Folgendes: Ich kann nachvollziehen, dass man lange mitarbeiten möchte, um einen Resolutionstext so israelfreundlich wie möglich zu machen. Was ja am Ende trotzdem nicht funktioniert. Aber wenn mir der Text nicht gefällt, muss ich ja nicht zustimmen. Dann kann ich mich immer noch enthalten oder im besten Fall auch dagegen stimmen. Es gibt für mich keinen Zusammenhang, aktiv für eine bestimmte Relativierung zu kämpfen und dann zuzustimmen oder mich zu enthalten. Und was überhaupt nicht geht, ist, für eine Verurteilung Israels zu stimmen, wenn zunächst eine Verurteilung der Hamas misslang, wie im Dezember 2018 in der UN‐Vollversammlung. Schließlich wurden die Resolutionsentwürfe gegen Israel mehrheitlich angenommen, und die einzige Initiative gegen die Hamas scheiterte an der Mehrheit!
Viele Israelis halten nicht viel von den UN, weil ihr Land ständig verurteilt wird.
Ich gebe sehr viel auf die UN, weil sie unser multilaterales Herz sind. Wir könnten eigentlich großen Einfluss haben: Denn alle schauen, wie Deutschland abstimmt. Die Sicherheit Israels ist Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland! Da kann man auch mal zeigen, was unsere Staatsräson ist, und unsere Staatsräson faktisch erlebbar machen! Aber stattdessen stimmen wir an der Seite von Pakistan und Saudi‐Arabien gegen Israel. Wenn wir das anders machen würden, dann würden auch unsere europäischen Partner auf Deutschland schauen und am Ende vielleicht ihr Abstimmungsverhalten ändern. Und dann würde sich dieses ganze System drehen. Wir haben eine Riesenchance, aber auch eine Riesenverantwortung, das ändern zu können. Es ist möglich. Man muss es nur wollen.
Entwickelt sich die FDP denn jetzt zu einer proisraelischen Partei? Das sah zu Zeiten von Jürgen Möllemann noch anders aus …
Auch Herr Möllemann hat eindeutig nicht die Meinung der damaligen FDP‐Bundestagsfraktion vertreten. Vielleicht wurde das nur manchmal so wahrgenommen, weil er eben zur damaligen Zeit einer der bekanntesten FDP‐Politiker war. Wenn Sie sich die Historie der Partei anschauen, etwa jetzt Alexander Graf Lambsdorff oder früher Otto Graf Lambsdorff, das sind beziehungsweise waren beispielsweise alles sehr proisraelische Politiker.
Würden Sie sagen, dass die FDP‐Fraktion mehrheitlich Ihre Position und die anderer Abgeordneter teilt?
Aktuell finden das sehr viele gut, weil wir das insgesamt im Bundestag vermissen. Es ist ja nicht so, dass das Parlament gegen Israel ist. Das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, das Parlament steht ganz klar hinter Israel, fraktionsübergreifend. Man hat ja auch im vergangenen Jahr einen gemeinsamen Antrag gegen Antisemitismus zum Thema verabschiedet, als die Gründung Israels vor 70 Jahren gefeiert wurde, und bis auf die AfD und die Linke haben alle Fraktionen unterschrieben. Daran sieht man, wie breit die öffentliche Unterstützung ist. Wenn ich aber am Ende sehe, was ganz konkret daraus wird, dann frage ich mich schon: Wo ist denn die faktische Unterlegung dessen, was ich in meine Anträge schreibe? Wir als FDP‐Fraktion arbeiten derzeit übrigens auch bald an weiteren außenpolitischen Anträgen zu Israel und zum Nahostkonflikt.
Nicht nur die FDP, sondern auch die AfD will das Thema Israel besetzen …
Ja, ausgerechnet die AfD geriert sich derzeit als proisraelische Partei. Das widert mich regelrecht an. Hier versucht man, eine Gruppe zu benutzen, um gegen eine andere Gruppe zu sein – Araber oder Muslime. Und deshalb braucht es eine Kraft der gesellschaftlichen Mitte, die die Themen Israel und Antisemitismus offensiv und ehrlich anspricht. Denn ich glaube, gerade diese sensiblen Themen sollte man in Deutschland nicht dem rechten Rand überlassen.
Ein weiteres »Steckenpferd« von Ihnen ist das deutsch‐israelische Jugendwerk …
Im fraktionsübergreifenden Bundestags‐Antrag gegen Antisemitismus ist die Forderung nach einem deutsch‐israelischen Jugendwerk, die wir als FDP‐Fraktion von Anfang an unterstützt haben, enthalten. Aber was ist seitdem geschehen? Zu unserem Erstaunen haben wir festgestellt, dass für den Ausbau des deutsch‐israelischen Jugendwerks keine Mittel im Haushalt bereitgestellt worden sind und dass es auch keinen Zeitplan für die Etablierung dieses Jugendwerks gibt. Natürlich müsste auch Israel noch finanzielle Zusagen machen. Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis sind gerade für Menschen in Ostdeutschland wichtig – viele wissen bisher wenig über Israel. Und auch im Westen ist vieles, was bei früheren Generationen an Verständnis für Israel selbstverständlich war, inzwischen längst nicht mehr der Normalfall.
Mit dem FDP‐Abgeordneten und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag sprach Ayala Goldmann.